"Der geheime Teilhaber"
von Joseph Conrad
Buchtipp von Angelika Simon
Als er – unsicher in seiner neuen Position und nicht vertraut mit
Mannschaft und Schiff und, um eine erste Fühlung zwischen sich und dem
Schiff herzustellen, - die nächtliche Ankerwache selbst übernimmt,
findet er ein nicht eingeholtes Fallreep und an dessen Ende im Wasser
einen Schwimmer.
Der Mann kommt an Bord, und es stellt sich heraus, dass es sich bei ihm
um den Ersten Offizier eines Schiffes aus Liverpool handelt, der auf
der Fahrt in die Südsee in einer außergewöhnlichen, für das Schiff und
die Mannschaft sehr gefährlichen Situation einen Meuterer getötet hat,
danach vom Kapitän seines Schiffes gefangen gesetzt worden und in einer
günstigen Situation vom Schiff geflohen war.
Der junge Kapitän bringt den - ebenfalls jungen - Ersten Offizier in
seiner Kajüte unter und gerät nun in die peinvolle Situation eines
ständigen Verstecksspiels vor der Mannschaft und vor dem Kapitän des
Schiffes aus Liverpool, der ihm, auf der Suche nach dem Flüchtigen,
einen Besuch abstattet.
Es wird klar, dass eine solche Situation nicht lange auszuhalten ist
und nicht gut gehen kann. Der junge Kapitän und der Geflüchtete planen
dessen Aussetzung auf einer besiedelten Insel vor der Küste
Kambodschas. Das zwingt den Kapitän, sein Schiff ganz nahe an Land
heranzubringen. Dieses Manövrieren überrascht zu einem die Mannschaft,
zum anderen ist es aber auch außerordentlich gefährlich. Ein Misslingen
hätte für den jungen Kapitän das Ende seiner Laufbahn bedeutet. Aber es
gelingt sowohl das Manövrieren als die Flucht des Ersten Offiziers.
Ich habe die Geschichte an einem Abend gelesen und konnte nicht davon
lassen. Sie ist nicht nur spannend geschrieben, sondern sie zeigt eine
Menschen- und Lebenswelt, in der der Protagonist eigenverantwortlich
handeln lernt und die Konsequenzen seines Tuns zwar vorher nicht
genügend abschätzen kann, sie aber akzeptiert und zu ihnen steht. -
Erst nach dem gefährlichen Manöver und dem Verschwinden des Ersten
Offiziers, welcher gewissermaßen das bisherige Schatten-Ich des jungen
Kapitäns war, ist dieser eins mit seinem Schiff, gibt es die
„vollkommene Gemeinschaft eines Seemannes mit seinem ersten Schiff“.
(S. 105)
Joseph Conrad schreibt psychologisch einfühlend und entführt uns in
eine Welt, in der die Menschen sich ihrem Fühlen, Denken und Handeln
hingeben können.
Der Autor beschreibt Landschaft und Meer in lebendiger, wunderbarer
Weise; und wer in der Lage ist, seine Bücher auf Englisch zu lesen,
dürfte den größten Gewinn daraus ziehen. Denn Englisch ist zwar nicht
die Muttersprache des Autors, aber die alleinige Sprache, in der er
seine Bücher schrieb.
Joseph Conrad, mit eigentlichem Namen „Theodor Josef Konrad
Korzeniowski, wurde am 6. Dezember 1857 in der Ukraine geboren, wo
seine Familie seit Generationen ansässig war. Der Vater, polnischer
Nationalist, wurde wegen der Vorbereitung des Aufstandes von 1863 nach
Sibirien verbannt. Die Mutter bekam auf ein Gnadengesuch die Erlaubnis,
ihn mit dem Sohn zu begleiten. So erlebten eine zarte Frau und ein
fünfjähriger Junge das Schicksal von Sträflingen. Nach zwei Jahren
starb die Mutter an Entkräftung, und nach sieben Jahren war der Vater
so zermürbt, dass er als ungefährlich ins Ausland entlassen wurde.
Dort, in Krakau, starb er bald darauf.
Diese Kindheitserlebnisse lösten Conrad von Heimat, Volk und
Mutter-sprache; den Binnenländer, Sohn festverwurzelter Grundherren,
zog es zum Meer. 1874 fuhr er zum ersten Mal zur See, von Marseille
aus, nachdem er alle Widerstände der Familie überwunden hatte. Als
Zwanzigjähriger kam Conrad nach England und befuhr von da an zwölf
Jahre lang auf englischen Schiffen die Meere des Fernen Ostens; er
diente sich zum Offizier und Kapitän hinauf.
Als Kapitän eines Flussdampfers an den Stanley-Fällen bekam er schweres
Fieber und musste in einem Kanu an Land gebracht werden. Das Kanu
kenterte, aber Conrad wurde gerettet. Damals hatte er die
Anfangskapitel seines ersten Romans bei sich. Das Fieber verließ ihn
nie mehr; ein letzter Versuch, auf See wieder zu gesunden, misslang.
Aber auf dieser Reise – 1893 nach Australien – legte er einem
´Cambridge-Mann´ sein erstes Werk vor. Dieser unbekannte Kritiker
ermunterte ihn zu schreiben. Von da an bis zu seinem Tod am 3. August
1924 hat Conrad sein großes erzählerisches Werk geschaffen. Seine
bekanntesten Bücher sind: Almayer`s Folly, The Nigger of the
`Narcissus`, Lord Jim, Heart for Darkness, Nostromo.” (S. 107)
Verlag: dtv zweisprachig
ISBN: 3-423-09340-4
Preis: Euro 6.--