"Denn die Seele ist in deiner Hand"
von Batya Gur
Buchtipp von Erna Subklew
Ein Buch für Freunde prägnanter, auf das Wesentliche konzentrierter
Texte. Wer in [diesen Tagen] den "Vorleser" von Bernhard Schlink lieben
gelernt hat, kann mit diesem Buch fast nahtlos weitermachen. Auch hier
wird das Bedrängende geschildert und zugleich die ungeheure Kraft, die
ein Mensch dagegen aufzubieten vermag. Das Buch beruht auf wahren
Ereignissen.
Ein Militärregime, dessen Geografie durch gestreute Wahl von Personen-
und Städtenamen im Irgendwo gelassen wird. Saras Mann ist als
Oppositioneller vor drei Jahren getötet worden, sie selbst führt
Kurierdienste aus und wird schließlich gefasst. Monatelang allein mit
sich, immer wieder unter Foltern verhört und die übrige Zeit mit
verbundenen Augen auf ein Bett gefesselt, wächst in ihr eine Gegenwelt,
in die sie sich flüchtet und aus der sie ihre Kraft bezieht. Sie soll
berichten, weiß aber nichts, so nimmt sie die Namen ihrer Puppen und
erfindet mit ihnen Treffen an realen Orten. Sie weiß, solange ihre
Peiniger von ihr noch etwas erwarten, bleibt sie am Leben. Sie beginnt
Kinderlieder vor sich hin zu summen, bekannte zuerst, dann selber
ausgedachte, um sich gegen die Einsamkeit zu wappnen. Erfinden kann
sie, lügen aber nicht, und so narrt sie ungewollt ihre Verhörer, die
Aufrichtigkeit nicht kennen und ihr Geheimnisse unterstellen, wo keine
sind. Verzweifelt versuchen sie aus den gesummten Noten Hinweise auf
Namen oder konspirative Vorgänge zu entschlüsseln, bringen sie in
Situationen, in denen sie sich verraten soll. Mit der Zeit beginnen
sie, Sara als Schicksalsgenossin zu empfinden, sie macht Hausaufgaben
für ihre Kinder, übersetzt ausländische Bedienungsanleitungen. Und so
erleichtert Sara über diesen neu gewonnenen Status ist, weiß sie doch,
wie rasch er zusammenbrechen kann, und schafft, wieder mit ihrem
Summen, eine Barriere zwischen sich und jenen. Schafft letztlich eine
Unberührbarkeit, die in krassem Gegensatz zu ihrer körperlichen
Ausgeliefertsein steht. Schließlich überdauert sie das Regime, das in
sich selbst zusammenbricht.
Die Erzählung scheint zunächst von einem neutralen Autor zu stammen,
bis man allmählich merkt, dass man einer Darstellung des Musikers
lauscht, der während der Verhöre im Nachbarraum Cello zu spielen hat
um, elektronisch verstärkt, Saras Schreie zu übertönen. Sie jedoch
zieht Kraft aus seiner Musik, sie "tanzt": beim Aufwischen des
Fußbodens. Und so entsteht das Unglaubliche: Eine Liebe zwischen der
geschundenen Frau und dem Mann, dessen Aufgabe nichts anderes ist, als
ihre Pein unhörbar zu machen.
Spannend und berührend mit einer ganz auf das Innenleben konzentrierten Darstellung. Und wundervoll dicht geschrieben.
Verlag: Goldmann
ISBN: 3-442-30836-4
Preis: Euro 22,90