"Der Hund der unterwegs zu einem Stern war"
von Otfried Preußler
Buchtipp von Werner Toporski
Klar hat man nicht nur ein Buch, das man besonders mag, spontan würde
mir da etwa ein Dutzend einfallen, und zwar sehr unterschiedliche. Aber
auswählen will ich eines, das ich früher unzählige Male meinen schon
nicht mehr kleinen Kindern vorgelesen habe, jedes Mal auch selber
fasziniert und gespannt:
Ottfried Preussler
Krabat
Thienemanns Verlag
Irgendwann in früherer Zeit. Krabat, der sich mit zwei anderen
elternlosen Jungen um Neujahr herum im Wendischen als Dreikönigssänger
durchschlägt, wird in drei aufeinander folgenden Nächten in einem stets
gleichen, geheimnisvollen Traum zu einer einsamen Mühle gerufen. Dort
lernt er zusammen mit elf Gleichaltrigen beim Meister das Zaubern. Es
scheint lustig, die Leute zu narren, aber rasch lernt Krabat, dass es
nicht um Spaß geht, und wie gefährlich die Macht des Meisters ist. Und
noch eines: Stets in der Neujahrsnacht müssen die Müllerburschen
erleben, wie einer der Ihren ums Leben kommt. Das gehört, wie sie alle
wissen, zum Vertrag des Meisters mit "dem mit der Hahnenfeder", dem
Teufel.
Im dritten Lehrjahr lernt Krabat ein Mädchen kennen, und es beginnt
eine Liebe, von der niemand etwas erfahren darf. Krabat weiß, der
Meister würde sie beide töten, weil er Liebe nicht dulden kann: Sie ist
kann stärker sein als seine Magie. Der Junge schafft es, das Geheimnis
den Überwachungskünsten des Meisters zu entziehen, aber dann erhält er
ein verlockendes Angebot. Und als er es ausschlägt, weiß er, dass er
der Nächste ist, der die Neujahrsnacht nicht überleben soll...
Ein Buch über die Verlockungen der Macht und den Sieg von
Menschlichkeit und Liebe. Faszinierend geschrieben, voller Geheimnisse
und mit einem Anspruch, der sich keineswegs auf Jugendliche beschränkt.
Leseprobe aus "Krabat" von Otfried Preußler
Gegen Mitternacht setzte leichter Regen ein. Lobosch zog sich die Decke über den Kopf.
"Tu das nicht!" sagte Krabat. "Dann wirst du die Glocken nicht hören und den Gesang im Dorf."
Wenig
später vernahmen sie, wie in der Ferne die Osterglocken zu läuten
anhoben, und sie hörten die Stimme der Kantorka von Schwarzkollm
herüber: die Stimme der Kantorka und, im Wechsel mit ihr, die anderen
Mädchen.
Klingt schön", sagte Lobosch nach einer Weile. "Um das zu hören, kann man sich ruhig naßregnen lassen."
Die nächsten Stunden verbrachten sie schweigend. Lobosch hatte
verstanden, dass Krabat nicht reden und nicht gestört sein wollte. Es
fiel ihm nicht schwer, sich danach zu richten. Was er von Tonda und
Michal erfahren hatte, reichte ihm für mehr als eine halbe Nacht, um
darüber nachzudenken.
Die Mädchen sangen, die Glocken läuteten.
Daß es nach einer Weile wieder zu regnen aufhörte, Krabat merkte es
nicht. Für ihn gab es weder Regen zu dieser Stunde noch Wind, weder
Wärme noch Kälte, kein Licht und kein Dunkel: für ihn gab es nur die
Kantorka jetzt, ihre Stimme - und die Erinnerung daran, wie ihre Augen
geleuchtet hatten im Schein der Osterkerze.
Diesmal war Krabat entschlossen, nicht wieder aus sich hinauszugehen.
Hatte der Meister sie nicht die Kunst gelehrt, in Gedanken zu einem
anderen Menschen zu sprechen, "daß er die Worte hören kann und
versteht, als kämen sie aus ihm selbst"?
Gegen Morgen sprach Krabat die neue Formel. Er richtete alle Kraft, die
in seinem Herzen war, auf die Kantorka: bis er zu spüren glaubte, nun
habe er sie erreicht - und da sprach er zu ihr.
"Es bittet dich jemand, Kantorka, daß du ihn anhörst", sprach er. "Du
kennst ihn nicht, er aber kennt dich seit langem. Wenn du an diesem
Morgen das Osterwasser geschöpft hast, dann richte es auf dem Heimweg
ein, daß du hinter den anderen Mädchen zurückbleibst. Allein mußt du
gehen mit deinem Wasserkrug, weil der Jemand dich treffen will - und er
mag es nicht, daß es vor aller Augen geschieht, weil es nur dich etwas
angeht, und ihn, und sonst niemanden auf der Welt."
Dreimal beschwor er sie, stets mit gleichen Worten. Dann graute der
Morgen herauf, der Gesang und die Glocken verstummten. Nun wurde es
Zeit, daß er Lobosch den Drudenfuß zeichnen lehrte und daß sie sich mit
dem Mal versahen, einer den anderen, mit Spänen vom Holzkreuz, die
Krabat mit Tondas Messer vom Stamm geschnitten und in der Glut hatte
ankohlen lassen.
Verlag: dtv-Taschenbuch
Lesestufe: 12-14 Jahre
ISBN: 3-423-25087-9
Preis: Euro 8,50